Wie kann die Wiederaufnahmerate durch körperliche Aktivität im Akutspital gesenkt werden?
Wissensdatenbank Organisationskultur Innovationsmanagement (inkl. Wissen) Prozesse (Leisten) ineffiziente Prozesse Fachkräftemangel Kostendruck B.2: Hospital in Motion - Verhinderung von Komplikationen durch Aktivitäts-Monitoring im SpitalDie mangelnde körperliche Aktivität während eines Spitalaufenthalts führt häufig zu Komplikationen und erhöht das Risiko, dass Patient*innen nach der Entlassung erneut aufgenommen werden müssen – ein Problem, das das Gesundheitssystem stark belastet. In diesem Wissensbeitrag wird gezeigt, wie die Förderung von gezielter Bewegung nicht nur die Genesung beschleunigt und Wiederaufnahmeraten deutlich senkt, sondern auch zu erheblichen Einsparungen im Gesundheitswesen beitragen kann.
Problembeschreibung, Forschungsfrage und Relevanz
Mangelnde Bewegung von Patient*innen in Spitälern ist ein tiefgreifendes Problem (Loyd et al., 2020). Es konnte festgestellt werden, dass mangelnde körperliche Aktivität während eines Spitalaufenthalts mit einer verminderten Funktionsfähigkeit, verlängerten Aufenthalten und höheren Wiederaufnahmeraten bei der älteren Bevölkerung korreliert (Brown et al., 2004).
Darüber hinaus konnten die Autoren feststellen, dass durchschnittlich 88,4% der Patient*innen den Tag über inaktiv blieben, sei es entweder liegend oder sitzend (Brown et al., 2004). Das Bundesamt für Statistik führte eine Untersuchung in Schweizer Spitälern 2021 durch. Sie fanden heraus, dass 37,6% aller hospitalisierten Patient*innen im Spital innerhalb von zwei Jahren mindestens zweimal hospitalisiert waren. Bei den Patient*innen mit einer hohen Anzahl Hospitalisierungstage (mindestens 21 Tage) war die Hälfte (50,8%) mindestens viermal hospitalisiert, dies bei einer mittleren Aufenthaltsdauer von 5.3 Tagen (Bundesamt für Statistik, 2021). Erfolgt eine Wiederaufnahme innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung, erhalten Spitäler keine zusätzliche Vergütung für diese Patient*innen, da es als der gleiche Fall angesehen wird. Dies erhöht den Druck, die Versorgungsqualität zu optimieren, um Wiederaufnahmen zu vermeiden und gleichzeitig die finanzielle Stabilität zu sichern (Leppin et al., 2014). Aufgrund der demografischen Entwicklung wird erwartet, dass die Zahl der Spitaleintritte von älteren und chronisch kranken Patient*innen sowohl in der gesamten Schweiz als auch am Universitätsspital Basel (USB) künftig weiter ansteigen wird (Bundesamt für Statistik, 2021). Dies lässt das Potenzial an Langzeitliegern und Mehrfacheintritten steigen und zeigt den erhöhten Bedarf an effizienten und effektiven Behandlungsmethoden für die entsprechende Population auf. Die Betriebskosten der Schweizer Spitäler überstiegen 33 Milliarden Franken im Jahr 2022. Diese Summe entspricht täglichen Kosten pro Patient*in von rund 2500 Franken in dem Akutspital (Bundesamt für Statistik, 2021). Die klinische Relevanz von körperlicher Aktivität bei akutstationären Patient*innen auf die Aufenthaltsdauer konnte hierbei schon mehrfach belegt werden. So wurde erwiesen, dass körperliche Aktivität die Lebensqualität, die HAD (Hospital associated disability) und die funktionelle Leistungsfähigkeit verbessern kann (Rezaei-Shahsavarloo et al., 2020; Scheerman et al., 2021)
(Siehe: B.2 Wissensbeitrag Nr. 1: Wie können «Hospital Associated Disabilities» reduziert werden?)
McCullagh und Kollegen fanden heraus, dass eine 50% Steigerung der Gesamtschrittzahl von hospitalisierten Patient*innen eine Reduktion der Aufenthaltsdauer von 6% bewirken kann (McCullagh et al., 2016). Folglich können im Gesundheitssystem mehrere Millionen CHF jährlich eingespart werden. Eine Steigerung der körperlichen Aktivität birgt mit den einhergehenden gesundheitlichen Vorteilen nicht nur zu einer Verkürzung der Aufenthaltsdauer, sondern führt auch zu einer finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems, siehe Abbildung 1 (Taheri et al., 2000; van Grootel et al., 2023).
Abbildung 1. Visualisierung der Vorteile von körperlicher Aktivität auf die Aufenthaltsdauer im Spital und die finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems (McCullagh et al., 2016; Rezaei-Shahsavarloo et al., 2020).
Methoden und Vorgehen im Projekt
Um der Problematik der erhöhten Wiederaufnahmerate entgegenzuwirken und erhebliche Gesundheitskosten einzusparen zu können, wurde bereits nachgewiesen, dass körperliche Aktivität und die Verbesserung der Mobilität wirksame Massnahmen zur Reduzierung der Aufenthaltsdauer und der Wiederaufnahmerate bei Patient*innen sind (McCullagh et al., 2016; Rezaei-Shahsavarloo et al., 2020). Das Ziel sollte es sein, einen geeigneten Ansatz zur Dokumentation der körperlichen Aktivität von Patient*innen, zur Festlegung von Aktivitätszielen und zur Steigerung der intrinsischen Motivation für Aktivität zu entwickeln. Tragbare Aktivitätssensoren können hierfür vielversprechende Daten liefern, um eine kontinuierliche, präzise und objektive Dokumentation der Aktivitäten zu gewährleisten und eine individualisierte Erstellung von Trainingszielen beziehungsweise Empfehlungen abzuleiten (Lang et al., 2020).
Im Rahmen des SHIFT-Projekts "Hospital in Motion" (B2) wurde in einer Pilotstudie (BASEC 2022-02035) ein innovativer Ansatz zur systematischen Erfassung und Analyse der körperlichen Aktivität und Mobilität von Patient*innen mittels tragbarer Aktivitätssensoren entwickelt. Ziel der Studie war es, signifikante Erkenntnisse über die Machbarkeit und Effektivität des Einsatzes von Aktivitätssensoren im klinischen Umfeld zu liefern und die Benutzerfreundlichkeit in der Anwendung für Patient*innen zu evaluieren.
Ergebnisse und Erkenntnisse
- Bewegung als standardisierte Massnahme gegen HAD: Körperliche Aktivität während des Spitalaufenthalts, unterstützt durch individuelle Bewegungsempfehlungen, hat nachweislich positive Effekte auf die HAD. Dies führt zu einer verkürzten Aufenthaltsdauer und verringert gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer Wiederaufnahme.
- Klinische Integration: Wesentlich für die erfolgreiche Integration von Aktivitätssensoren in das klinische Setting ist die Einbindung der Healthcare-Professionals und der Patient*innen.
- Ergebnisse der Pilotstudie: Der Einsatz tragbarer Aktivitätssensoren während des Spitalaufenthalts erwies sich, vor allem am Sprunggelenk als präzise und gut verträglich. Es ist zu erwarten, dass die Einbindung von Aktivitätssensoren dazu beiträgt, die Bewegungsaktivität der Patient*innen zu steigern und eine gezieltere Integration in den klinischen Alltag zu ermöglichen, was letztlich die Wiederaufnahmerate reduzieren könnte.
- Entlastung des Gesundheitssystems: Eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer sowie der Wiederaufnahmeraten kann zu erheblichen Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem führen.
Empfehlungen für die Praxis
- Einsatz von tragbaren Aktivitätssensoren am Sprunggelenk
- Einbindung von Wearables in den klinischen Alltag (Implementierung)
- Änderung der Spitalkulturhinsichtlich Förderung der körperlichen Aktivität als Standardmassnahme
- Durch die appbasierte Darstellung der Aktivitätsdaten sollen die Patient*innen motiviert werden, ihre körperliche Aktivität zu erhöhen (van Grootel et al., 2023)
Literatur und andere Quellen
Brown, C. J., Friedkin, R. J. & Inouye, S. K. (2004). Prevalence and Outcomes of Low Mobility in Hospitalized Older Patients. Journal of the American Geriatrics Society, 52(8), 1263–1270. doi.org/10.1111/j.1532-5415.2004.52354.x
Bundesamt für Statistik. (2021). Infrastruktur, Beschäftigung, Finanzen| Statistiken der Spitalbetriebe 2022 Publikation. In Bundesamt für Statistik. www.bfs.admin.ch/news/de/2023-0168
Bundesamt für Statistik. (2021). Personen mit einer hohen Anzahl Hospitalisierungstage - Medizinische Statistik der Krankenhäuser 2017-2019 | Publikation. In Bundesamt für Statistik. www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen.assetdetail.16324078.html
Lang, C. E., Barth, J., Holleran, C. L., Konrad, J. D. & Bland, M. D. (2020). Implementation of Wearable Sensing Technology for Movement: Pushing Forward into the Routine Physical Rehabilitation Care Field. Sensors (Basel, Switzerland), 20(20). doi.org/10.3390/s20205744
Leppin, A. L., Gionfriddo, M. R., Kessler, M., Brito, J. P., Mair, F. S., Gallacher, K., ... & Montori, V. M. (2014). Preventing 30-day hospital readmissions: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. JAMA internal medicine, 174(7), 1095-1107.
Loyd, C., Markland, A. D., Zhang, Y., Fowler, M., Harper, S., Wright, N. C., Carter, C. S., Buford, T. W., Smith, C. H., Kennedy, R., & Brown, C. J. (2020). Prevalence of Hospital-Associated Disability in Older Adults: A Meta-analysis. Journal of the American Medical Directors Association, 21(4), 455-461.e5. doi.org/10.1016/j.jamda.2019.09.015
McCullagh, R., Brady, N. M., Dillon, C. & Horgan, N. F. (2016). A Review of the Accuracy and Utility of Motion Sensors to Measure Physical Activity of Frail, Older Hospitalized Patients. Journal of Aging and Physical Activity, 24(3), 465–475. doi.org/10.1123/japa.2014-0190
Rezaei-Shahsavarloo, Z., Atashzadeh-Shoorideh, F., Gobbens, R. J. J., Ebadi, A. & Ghaedamini Harouni, G. (2020). The impact of interventions on management of frailty in hospitalized frail older adults: a systematic review and meta-analysis. BMC Geriatrics, 20(1). doi.org/10.1186/s12877-020-01935-8
Scheerman, K., Schoenmakers, A. H. C., Meskers, C. G. M. & Maier, A. B. (2021). Physical, motivational and environmental factors influencing physical activity promotion during hospitalization: Older patients’ perspective. Geriatric Nursing, 42(2), 599–604. doi.org/10.1016/j.gerinurse.2021.02.013
Taheri, P. A., Butz, D. A. & Greenfield, L. J. (2000). Length of stay has minimal impact on the cost of hospital admission1. Journal of the American College of Surgeons, 191(2), 123–130. doi.org/10.1016/S1072-7515(00)00352-5
van Grootel, J. W. M., Bor, P., Netjes, J. A., Veenhof, C., & Valkenet, K. (2023). Improving physical activity in hospitalized patients: The preliminary effectiveness of a goal-directed movement intervention. Clinical Rehabilitation, 37(11), 1501–1509. doi.org/10.1177/02692155231189607
Zitierung des Beitrags
Wie kann die Wiederaufnahmerate durch körperliche Aktivität im Akutspital gesenkt werden?