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Wie beurteilen Schweizer Spitäler Digital Health Lösungen?

Wissensdatenbank Organisation Technologie Mensch D.4: Methodenkoffer zur Quantifizierung des Prozesspotentials von Digital Health Tools

Digital Health Lösungen – wie die Plattform von heyPatient – versprechen grosse Effektivitäts- und Effizienzgewinne. Diese liegen einerseits in der Digitalisierung an sich begründet, andererseits in optimierten Arbeitsprozessen. So kann die Patientenlogistik von Anmeldung über Terminversand bis zur Vorbereitung und Navigation automatisiert werden, während Patienten digital und intuitiv mit dem Spital interagieren. Dabei stellt sich die Frage: Wie bewerten Schweizer Spitäler den Nutzen digitaler Gesundheitslösungen?

Problembeschreibung, Forschungsfrage und Relevanz

Die Entwicklung des Methodenkoffers fusst zum einen auf Erkenntnissen aus Literaturrecherchen. Diese werden im D.4 Wissensbeitrag Nr. 1: Welche Erkenntnisse haben wir aus der Literatur zur Beurteilung des Nutzens von Digital Health Lösungen? thematisiert.

Zum anderen fliessen Erkenntnisse aus Interviews mit Expert:innen ein, um herauszufinden, nach welchen Kriterien und Methoden verschiedene Stakeholder der Schweizer Spitäler aktuell den Nutzen von Digital Health Lösungen quantifizieren. Der Nutzen von Experteninterviews in der qualitativen Forschung besteht u. a. darin, detaillierte sowie kontextbezogene relevante Daten zu erhalten, um Forschungsergebnisse hinsichtlich Qualität und Tiefe zu ergänzen (Eppich et al., 2019; Family Health International (FHI), 2005).

Methoden und Vorgehen im Projekt

Im November und Dezember 2022 wurden qualitative Interviews mit Expert:innen geführt, die an Entscheidungsfindungen in Spitälern beteiligt sind. Die Interviews wurden zweistufig geführt.

In einem ersten Schritt wurden die Expert:innen befragt, wie sie Digital Health Lösungen in ihrer Institution evaluieren. Zwei Hauptfragen bildeten dabei die Ausgangslage:

  • Wer evaluiert den Wert von Digital Health Lösungen im jeweiligen Spitalkontext? Welche Stakeholder sind dabei involviert?
  • Wie wird eine Evaluation vorgenommen? Welche Kriterien werden dazu genutzt und wie werden diese quantifiziert?

In einem zweiten Schritt wurden die Expert:innen gebeten, die Dimensionen des sogenannten HTA Core Models einzuschätzen und zu beurteilen, im Hinblick darauf, ob sie diese z. B. bereits implizit oder explizit nutzen und/oder gerne nutzen würden.

Die folgende Frage bildete dabei die Ausgangslage:

  • Bitte priorisieren Sie die aufgeführten Entscheidungskriterien gemäss dem HTA Core Model von EUnetHTA nach ihrer Wichtigkeit zur Bewertung des Nutzens.

Das HTA Core Model von EUnetHTA (European Network for Health Technology Assessment) ist ein standardisiertes Rahmenwerk zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment, HTA). Dieses Modell dient dazu, verschiedene Aspekte von Gesundheitstechnologien systematisch und umfassend zu analysieren und zu bewerten. Das Ziel des Modells ist es, eine strukturierte und konsistente Methodik bereitzustellen, welche die Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen unterstützt (EUnetHTA, o. D.).

Die 9 Bereiche des Modells umfassen die folgenden Aspekte:

HTA Core Model Bereich

Beschreibung

Health problem and current use of technology

z. B., ob die Technologie für eine spezifische Erkrankung entwickelt wurde

Description and technical characteristics

z. B., ob eine Schnittstelle mit anderen bestehenden Technologien möglich ist

Safety

z. B., ob die Technologie die Patientensicherheit nicht gefährdet

Clinical effectiveness

z. B., ob die klinische Wirksamkeit der Technologie wissenschaftlich belegt wurde

Costs and economic evaluation

z. B., ob die Investition in die Technologie das Budget kurz- oder mittelfristig entlastet

Ethical aspects

z. B., ob die Technologie die Integrität der Patient:innen schützt

Organizational aspects

z. B., ob die personellen Ressourcen bestehen, um die Technologie einzuführen

Patient and social aspects

z. B., ob die Technologie die Patientenzufriedenheit steigert

Legal aspects

z. B., ob die Technologie bereits in einem anderen Land genehmigt wurde

Ergebnisse und Erkenntnisse

Die Expert:innen repräsentierten diverse Bereiche und Funktionen aus den Spitäler. Darunter befanden sich Mitglieder der Geschäftsleitung, des Stabs, des Kaders, des Prozessmanagements sowie der Forschung.

Die Datenauswertung zeigte folgende Erkenntnisse: Dreiviertel der Expert:innen gaben an, dass sie einem formalen Entscheidungsfindungsansatz folgen. Zudem gaben sie an, dass ihre Spitäler unterschiedliche Ansätze zur Evaluation von Digital Health Lösungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nutzen. Einige Spitäler verfolgen einen rigorosen und systematischen Ansatz, während andere eher unstrukturiert vorgehen. Zu den verfolgten Ansätzen zur Evaluation und Entscheidungsfindung bei Digital Health Lösungen gehören u.a. das Einholen interner und externer Feedbacks, die Anwendung des Design Thinking Ansatzes, die Durchführung vergleichender Analysen sowie die Nutzung von Crowd Intelligence. Leitende Stellen bei der Evaluation sind dabei in den meisten Fällen das Management, ICT, Steuerungskommissionen oder ein Innovation Hub. Am häufigsten wurden folgende grundlegende Entscheidungskriterien in den Interviews genannt: Patientenaspekte, Prozessoptimierung, Strategie und wirtschaftliche Aspekte.

Die Einschätzung resp. Priorisierung der 9 Bereiche des HTA Core Models durch die Expert:innen vermittelt auf den ersten Blick kein eindeutiges Bild. 

Abbildung 1: Priorisierungsranking 9 Bereiche des HTA Core Model durch die Expert:innen. Je tiefer die Zahl, desto höher die Priorität. Quelle: Eigene Darstellung ZHAW.

Bei der Einschätzung der 9 Bereiche des HTA Core Models durch die Expert:innen zeigte sich, dass die Kriterien teilweise mit denen übereinstimmen, die in ihren Institutionen bereits verwendet werden oder gerne genutzt würden, aber derzeit noch nicht im Einsatz sind. Dennoch zeigt sich, dass einigen Bereichen resp. Kriterien des HTA Core Models eine höhere Priorität beigemessen wird als anderen. Dieses Ergebnis zeigt sich auch in den bisherigen Erkenntnissen aus den Interviews. Dazu gehören Patienten- und soziale Aspekte, Kosten und wirtschaftliche Evaluation, Sicherheit und klinische Wirksamkeit. Diese Erkenntnisse wiederum sind ebenfalls in die Entwicklung des Methodenkoffers miteingeflossen.

Empfehlungen für die Praxis

  • Reflektiere den Evaluationsprozess in deiner Organisation. Überlege dir, wie in deiner Organisation der Nutzen digitaler Health Tools evaluiert wird. Erfolgt dies nach formellen oder eher informellen Schritten?
     
  • Reflektiere die Entscheidungsstrukturen. Wer wird in die Entscheidung einbezogen? Welche Ansätze werden genutzt?
     
  • Nutze das HTA Core Model als Hilfestellung. Wie priorisiert deine Organisation die unterschiedlichen Dimensionen?

 

Der Wissensbeitrag gibt einen aggregierten Einblick in die unterschiedlichen Wege und Ansätze, wie Schweizer Spitäler aktuell bei der Evaluation von Digital Health Lösungen vorgehen. Mit der Entwicklung des Methodenkoffers zur Quantifizierung des Prozesspotentials von Digital Health Tools soll ein weiterer Ansatz entwickelt werden, welcher Spitälern künftig zusätzlich dazu an die Hand gegeben werden kann.

Literatur und andere Quellen

Eppich, W. J., Gormley, G. J., & Teunissen, P. W. (2019). In-depth interviews. In D. Nestel, J. Hui, K. Kunkler, M. Scerbo, & A. Calhoun (Eds.), Healthcare simulation research (pp. 189-200). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-030-26837-4_12

European Network for Health Technology Assessment. (n.d.). HTA core model. EUNetHTA. https://www.eunethta.eu/hta-core-model/

Family Health International (FHI). (2005). Qualitative research methods: A data collector’s field guide. Retrieved from https://www.fhi360.org/wp-content/uploads/drupal/documents/Qualitative%20Research%20Methods%20-%20A%20Data%20Collector's%20Field%20Guide.pdf

Zitierung des Beitrags

Der Beitrag zu Erkenntnissen aus Experteninterviews zur Beurteilung des Nutzens von Digital Health Lösungen.