Welche Erkenntnisse haben wir aus der Literatur zur Beurteilung des Nutzens von Digital Health Lösungen?
Wissensdatenbank Organisation Technologie D.4: Methodenkoffer zur Quantifizierung des Prozesspotentials von Digital Health ToolsDie steigende Lebenserwartung der Bevölkerung stellt unser Gesundheitssystem vor zahlreiche Herausforderungen. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die verstärkte Einführung digitaler Gesundheitslösungen eine entscheidende Rolle bei der Lösung dieser Probleme spielen wird (Europäische Kommission, o. D.). Doch wie lässt sich dieser Nutzen quantifizieren? In diesem Beitrag werden Ergebnisse aus der Literatur zusammengetragen.
Problembeschreibung, Forschungsfrage und Relevanz
Digital Health Lösungen könnten einen Wendepunkt im Umgang mit den Herausforderungen im Gesundheitssystem darstellen. Ein Hindernis bei der Einführung besteht allerdings darin, dass bis jetzt konkrete Möglichkeiten der Quantifizierung des Nutzens einer Digital Health Lösungen fehlen.
Es stellen sich somit folgende Fragen: Wie können wir den Wert, welchen diese Lösungen für das Gesundheitssystem schaffen, vergleichen und evidenzbasierte Entscheidungen bei der Auswahl der vorteilhaftesten Lösungen treffen? Wir brauchen effiziente und effektive Methoden, um den Wert zu ermitteln. Denn: Für Unternehmen, die auf dem digitalen Gesundheitsmarkt konkurrieren, wird die Messung und der Nachweis des Werts ihrer digitalen Lösungen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein. Diese Unternehmen müssen Wege finden, um den potenziellen Wert, welchen sie schaffen können, klar zu messen und zu kommunizieren. Dies ist jedoch nicht ganz einfach.
Wenn wir über Wert im Gesundheitswesen sprechen, müssen wir viele verschiedene Interessengruppen berücksichtigen. Einer der wichtigsten Stakeholder ist der Patient resp. die Patientin. Die Unternehmen sollten sich über den Wert, den sie für die PatientInnen schaffen, im Klaren sein. Sie müssen aber auch nachweisen, dass sie den Gesundheitsinstitutionen, an die sie verkaufen, kurz- und langfristige Vorteile bringen. Wenn sie zum Beispiel ihre Lösungen an Spitäler verkaufen, müssen sie nicht nur den finanziellen Nutzen aufzeigen, sondern auch berücksichtigen, wie sie die Arbeit der verschiedenen Interessengruppen in einem Spital verbessern können. Die Herausforderung besteht darin, dass sich nicht alle Beteiligten des potenziellen Nutzens bewusst sind und dass sie möglicherweise ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie diese Technologien ihnen helfen können, ihre Arbeit besser oder kostengünstiger zu erledigen. Daher sollten Unternehmen einen klaren und massgeschneiderten Ansatz verfolgen, um verschiedenen Interessengruppen den Nutzen ihrer Technologien zu verdeutlichen.
Methoden und Vorgehen im Projekt
Im SHIFT-D.4-Subprojekt arbeiten wir mit heyPatient als Praxispartner zusammen, um einen Methodenkoffer zu entwickeln, mit welchem sich die Wirkung von digitalen Gesundheitsinterventionen quantifizieren lassen soll. Die Nutzung des Methodenkoffers soll einen zielgerichteten Einsatz von begrenzten Ressourcen zur digitalen Transformation ermöglichen und somit auch zur Verschlankung und Verkürzung von Entscheidungswegen dienen.
Digitale Gesundheitsanwendungen erleichtern das Tracking von gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen, die Überwachung möglicher Gesundheitsrisiken wie auch die Kommunikation und Interaktion zwischen PatientInnen und ÄrztInnen. Alleine in der Schweiz verkehren im Gesundheitswesen im Schnitt bis zu 70 Prozent des Online-Datenverkehrs auf mobilen Endgeräten (statista, 2019). Aber: Die Einordnung von Quantifizierungsmethoden ist komplex und gleichzeitig breit gefächert und daher eine der zentralen Herausforderungen. Basierend auf einer Literaturrecherche wurde rund um das Thema Quantifizierungsmethoden des Nutzens von digitalen Gesundheitsinterventionen eine Einordnung möglicher Bewertungsinstrumente durchgeführt.
Die Durchführung der Literaturrechreche erfolgte im Rahmen einer Semesterarbeit im Modul Intergrated Projects durch Studierende der ZHAW des Masters in Health Economics and Healthcare Mangement. Wir danken an dieser Stelle Sandra Bruno de Schumann, Laura Kunz und Lukas Kurpat für ihren Beitrag zum Projekt!
Ergebnisse und Erkenntnisse
Die wichtigsten Ergebnisse der Literaturrecherche sind im Folgenden tabellarisch zusammengefasst, wobei es sich um einen Auszug handelt, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit aller möglichen Bewertungsinstrumente erhebt.
Nutzenkategorie | Kriterium | Messmethoden (Beispiele) |
Vollumfängliche ökonomische Evaluationen | Kosten-Wirksamkeits-Analyse | Kosten: gemessen in monetären Einheiten Nutzen: gemessen in gewonnenen Lebensjahren oder ermittelten Krankheitsfällen |
Kosten-Nutzwert-Analyse | Kosten: monetäre Einheiten Nutzen: QUALYs, DALYs | |
Kosten-Nutzen-Analyse | Kosten: Monetäre Einheiten Nutzen: Monetäre Einheiten | |
Kosten-Konsequenz-Analyse | Kosten: Monetäre Einheiten Nutzen: medizinische oder natürliche Einheiten | |
Kosten-Minimierungs-Analyse | Kosten: Monetäre Einheiten Nutzen: Es wird der gleiche Wert wie bei den Kosten angenommen | |
Organisatorischer Nutzen (beeinflusst den ökon. Nutzen) | Reduktion des ärztlichen Zeitaufwandes | TARMED Taxpunktwerte, weniger in Anspruch genommen |
Reduktion des admin. Zeitaufwandes | Anzahl Kundentelefonate für Terminbuchung | |
Erhöhung der Gesundheitskompetenz | Patientenbefragung | |
Klinischer Nutzen | Lebensqualität | QALYs und DALYs |
Effekt auf gewisse Vitalparameter | Vernetzte Messgeräte für Heimeinsatz | |
Verkürzung der Genesungsdauer | Dauer ab Symptombeginn bis Symptomfreiheit | |
Verlängerung des Überlebens | Outcome-Messungen bei bestimmten Diagnosen | |
Schmerz | Schmerzskala, Fragebögen | |
Funktionsverbesserung | Standardisierte Assessments z. B. zur Erfassung der Selbständigkeit | |
Datenschutz und Datensicherheit | Rechtmässigkeit der Verarbeitung | |
Zweckbindung, Datenminimierung und Speicherbegrenzung | ||
Betroffenenrechte | ||
Informationssicherheits- und Servicemanagement | ||
Verhinderung von Datenabfluss | ||
Authentisierung | ||
Einbinden von Daten und Funktionen | ||
Technischer Nutzen | Einfache Bedienbarkeit | |
Nutzerfreundlichkeit | ||
Robustheit gegen Fehlbedienungen und Fehlfunktionen oder externe Ereignisse | ||
Funktionstauglichkeit |
Empfehlungen für die Praxis
- Einordnen der digitalen Gesundheitsintervention: Die Welt der digitalen Gesundheitsinterventionen ist vielfältig. Entsprechend sollten vor Entwicklung eines Methodenkoffers zur Quantifizierung des Nutzens einer entsprechenden digitalen Gesundheitsintervention die damit verbundenen wichtigsten Zielgrössen im Voraus definiert werden, da diese massgeblich bestimmen, welche Methoden für die Evaluation am geeignetsten sind (LeFevre et al., 2017).
- Erstelle Prototypen und teste diese: Diese erfordern eine regelmässige Wiederholung des Evaluationsprozess und entsprechende Anpassungen (Jochimsen, 2021).
- Schaue nicht nur auf die Kostendimension bei der Nutzenevaluation: Messparameter wie die Reduzierung der Behandlungsdauer, die Adhärenz der PatientInnen oder die Vollständigkeit von Patientendaten könnten als potenzielle Alternativen dienen (Bambigura et al., 2021).
Der Wissensbeitrag zielt darauf ab, ein Verständnis für die Komplexität der Nutzenquantifizierung zu schaffen, während er gleichzeitig die Notwendigkeit und das Bedürfnis für die Entwicklung eines Methodenkoffers zur Bewältigung dieser Herausforderung aufzeigt.
Literatur und andere Quellen
Babigumira, J., Dolan, S., Shade, S., Puttkammer, N., Bale, J., Tolentino, H., & M. Santas, X. (2021). Applied Economic Evaluation of Digital Health Interventions. US-Center for Disease Control and Prevention. 74.
DiGA – Digitale Gesundheitsanwendungen und Apps auf Rezept. (2021, November 30). vfa.de. https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/abcgesundheitspolitik/diga-schnell-er-klaert.html
Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung. (2022, Mai 19). https://www.gesetze-im-in-ternet.de/digav/anlage_1.html
Europäische Kommission. (o. D.). Elektronische Gesundheitsdienste (eHealth): Digitale Gesundheitsversorgung und Pflege. Überblick. Abgerufen von https://health.ec.europa.eu/ehealth-digital-health-and-care/overview_de
Eysenbach, G. (2001). What is e-health? Journal of Medical Internet Research, 3(2), e20. https://doi.org/10.2196/jmir.3.2.e20
Gehring, H., Pramann, O., Imhoff, M., & Albrecht, U.-V. (2014). Zukunftstrend „Medical Apps“: Vom App-Store direkt in die medizinische Anwendung? Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 57(12), 1402–1410. https://doi.org/10.1007/s00103-014-2061-x
Ghadiri, A., Ternès, A., & Peters, T. (Hrsg.). (2016). Trends im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07978-9
Jochimsen, B. (2021). Digitalisierung für Gesundheit—Ökonomische Aspekte des Gutachtens des SVR Gesundheit. Wirtschaftsdienst, 101(5), 376–380. https://doi.org/10.1007/s10273-021-2916-3
LeFevre, A. E., Shillcutt, S. D., Broomhead, S., Labrique, A. B., & Jones, T. (2017). Defining a staged-based process for economic and financial evaluations of mHealth programs. Cost Effectiveness and Resource Allocation, 15(1), 5. https://doi.org/10.1186/s12962-017-0067-6
Statista. (2019, Dezember). statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/369792/um-frage/anteil-des-mobilen-online-traffics-in-der-schweiz-in-einzelnen-branchen/
Thranberend, T., & Bittner, J. (2020). AppQ 1.1—Gütekriterien-Kernset für mehr Qualitäts-transparenz bei digitalen Gesundheitsanwendungen. Bertelsmann Stiftung. https://docplayer.org/193668308-Appq-1-1-guetekriterien-kernset-fuer-mehr-qualitaet-stransparenz-bei-digitalen-gesundheitsanwendungen.htm
Zitierung des Beitrags
Der Beitrag zu literaturbasierten Erkenntnissen zur Beurteilung des Nutzens von Digital Health Lösungen.