Wie mache ich meine Patient*innen zum Teil der Lösung (Co-Creation)?
Wissensdatenbank Mensch Allgemein Patientenerwartungen B.2: Hospital in Motion - Verhinderung von Komplikationen durch Aktivitäts-Monitoring im SpitalMangelnde Bewegung bei Patient*innen in Spitälern ist bekanntlich ein häufiges Problem – und genau hier setzt eine innovative Lösung an: Ein wearablebasiertes Aktivitätsmonitoring, das die Bewegung der Patient*innen erfasst und sowohl für die HCP als auch für die Patient*innen selbst visualisiert wird.
Problembeschreibung, Forschungsfrage und Relevanz
Schon bei der ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung 1986 in Ottawa wurde Gesundheitsförderung als ein Prozess definiert, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen (Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, 1986). Personen, die Gesundheitsleistungen beziehen, werden seitdem zunehmend aktiv in die Planung von Public-Health-Aktivitäten und die Gesundheitsversorgung mit einbezogen und somit zu Co-Produzent*innen ihrer eigenen Gesundheit (Weidinger et al., 2021).
Auf dieser Grundlage ist das Konzept der Co-Creation aufgebaut. Es stellt eine partizipative Methode dar. Im Gesundheitswesen werden die Nutzerinnen und Nutzer von Gesundheitsleistungen, wie Patientinnen und Patienten, und die Anbieter, wie Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte, als gleichwertige Partner*innen angesehen. Gemeinsam arbeiten sie an der Entwicklung und Weiterentwicklung von Produkten oder Leistungen, um die Bedürfnisse aller Beteiligten einzubeziehen und dadurch einen Mehrwert zu schaffen (Spencer et al., 2013; Kuipers et al., 2019).
Das Gesundheitswesen befindet sich im ständigen Wandel. Ein Spitalbesuch ist heute anders als noch vor zehn Jahren. Durch die Vielzahl an Möglichkeiten zur Bereitstellung von Informationen für die Patientinnen und Patienten, können diese auch aktiver eingebunden werden und sind dadurch motivierter sich an den gemeinsam entwickelten Behandlungsweg zu halten. Wichtig und entscheidend ist bei der Mitgestaltung des Behandlungswegs für die Patientinnen und Patienten vor allem die Berücksichtigung der individuellen Umstände und Möglichkeiten (Prahalad et al., 2004).
Die Förderung der Selbstbestimmung und Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten durch das Co-Creation Konzept ist nicht zu unterschätzen und kann auch hinsichtlich der Thematik der Bewegungsförderung in Spitälern angewendet werden. Vor allem fehlt es häufig am Verständnis der Patientinnen und Patienten für die immense Bedeutung von Bewegung, insbesondere bei längerer Bettlägerigkeit. Bewegung spielt eine zentrale Rolle für den Erhalt der körperlichen und geistigen Gesundheit und wirkt sich entscheidend auf die Genesung aus.
Dieses mangelnde Verständnis erschwert oft die Motivation der Patientinnen und Patienten, aktiv zu werden und sich zu bewegen. Aus diesem Grund wäre es besonders sinnvoll, die Patientinnen und Patienten aktiv in die Entwicklung eines individuellen Bewegungskonzepts einzubeziehen. Dadurch könnten nicht nur die Hintergründe und der Nutzen von Bewegung verständlich und nachvollziehbar vermittelt werden, sondern auch spezifische Bedürfnisse und Möglichkeiten der einzelnen Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden. Ein solcher partizipativer Ansatz würde nicht nur das Bewusstsein für die Relevanz von Bewegung stärken, sondern auch die intrinsische Motivation fördern. Die Patientinnen und Patienten könnten sich besser mit dem Konzept identifizieren und es als ein auf sie abgestimmtes Werkzeug für ihre Genesung wahrnehmen. Letztlich kann diese Herangehensweise einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Akzeptanz und Bereitschaft zur Bewegung nachhaltig zu steigern.
Dieser Wissensartikel stellt ein mögliches Konzept und verschiedene Anregungen vor, wie das Konzept der Co-Creation in Spitälern hinsichtlich der Bewegungsförderung umgesetzt und Patientinnen und Patienten damit zum Teil der Lösungen gemacht werden könnten.
Methoden und Vorgehen im Projekt
Die Förderung der körperlichen Aktivität von Patientinnen und Patienten im Akutspital sollte eine zentrale Priorität darstellen. Menschen zur körperlichen Aktivität zu motivieren, stellt ein ureigenes Interesse der Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen dar (Löllgen et al., 2024).
Um auf die genauen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten besser eingehen zu können, wäre es sinnvoll, dass sie sowie ihre Angehörige und die Health Care Professionals (HCP) ihre Perspektiven einbringen, um gemeinsam kreative Lösungen für die Förderung zur Bewegung zu entwickeln.
Ein mögliches Konzept zur Aktivitätsförderung im Spital entwickelt das Subprojekt B.2. Hierbei besteht das Ziel darin, die körperliche Aktivität von akutstationären Patientinnen und Patienten zu fördern, indem ein Aktivitätssensor getragen und die aufgezeichneten Bewegungsdaten visualisiert werden. Der Co-Creation-Ansatz ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, da das Monitoring der Patienten- sowie Patientinnenaktivität und -mobilität darauf abzielt, die Motivation der Patientinnen und Patienten zu mehr Bewegung zu fördern. Um dieses Ziel zu unterstützen, wurden in Validierungs- und Integrationsstudie die teilnehmenden Patientinnen und Patienten kontinuierlich zu ihrem Empfinden hinsichtlich des Tragens und Handlings der Aktivitätssensoren befragt, um ihr Feedback in den weiteren Entwicklungsprozess einfliessen zu lassen. Darüber hinaus ist ein Folgeprojekt zur Entwicklung einer Applikation zur Darstellung der Aktivitätsdaten mit Hilfe des Feedbacks der Patientinnen und Patienten geplant, um hierbei die Daten so darzustellen, dass sich diese zu mehr Bewegungen motivieren lassen.
Folgende Punkte zeigen eine mögliche Herangehensweise, wie der Ansatz der Co-Creation hinsichtlich der Bewegungsförderung in verschiedenen Schritten im Spitalalltag integriert werden kann:
Ergebnisse und Erkenntnisse
1. Aufklärung und Sensibilisierung hinsichtlich der Thematik körperliche Bewegung im Spital: Die Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen sollen für die Thematik sowie die positiven Effekte durch Bewegung sensibilisiert werden, um das Verständnis für die Thematik und somit die Motivation zur Bewegung zu fördern.
- In B.2 wurden die Patientinnen und Patienten schriftlich, anhand der Patienteninformation sowie mündlich aufgeklärt, um ihnen den Hintergrund des Projekts näher zu bringen und Sie für das Thema zu sensibilisieren.
- Zukünftig könnte die Sensibilisierung von Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen durch Poster, Flyer sowie ärztliche Aufklärungsgespräche erfolgen, um Akzeptanz und Normalität im Umgang mit körperlicher Aktivität im Spital zu fördern.
2. Schaffung einer bewegungsorientierten Atmosphäre anhand von:
- Verwendung von Aktivitätssensoren und einer Applikation, die die Motivation der Patientinnen und Patienten zu mehr körperlicher Bewegung fördert.
- Setzen von kleinen und erreichbaren Aktivitätszielen.
3. Förderung von Selbstwirksamkeit und Eigenmotivation: Ein wesentlicher Aspekt der Bewegungsförderung ist es, Patientinnen und Patienten aktiv in ihre Genesung zu integrieren. Dies kann durch die Gelegenheit zur selbstständigen Bewegung sowie durch die Förderung der Eigenverantwortung für die eigene Aktivität geschehen durch:
- Die Erfassung und Berücksichtigung des Feedbacks von Patientinnen und Patienten.
- Das gemeinsame Setzen von Aktivitätszielen der HCP mit den Patientinnen und Patienten.
Empfehlungen für die Praxis
Aus der oben aufgeführten Thematik können folgende Empfehlungen für die Praxis abgeleitet werden:
- Patienten und Patientinnen sollen aktiv in die Planung von Projekte/Vorhaben integriert werden: hier kann der Patient*innenbeirat als stellvertretende Instanz herangezogen werden.
- Individuelle Bewegungsziele und -pläne erstellen: HCP und Patientinnen und Patienten sollen gemeinsam personalisierte Bewegungsziele festlegen, die den individuellen Interessen, Fähigkeiten und dem klinischen Zustand angepasst sind.
- Motivierende Bewegungsangebote schaffen: gemeinsam mit dem Patient*innenbeirat können Bewegungsstationen, spielerische Programme oder kleine Challenges geschaffen werden, um Patientinnen und Patienten zur mehr Aktivität anzuregen und gleichzeitig Freude an der Bewegung fördern.
- Evaluation des Feedbacks: Fragebögen und Feedback können genutzt werden, um Ideen und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Bewegungsförderung einzuholen. Hierbei können Apps zur Bewegungsförderung genutzt werden in denen einfache Feedbackmöglichkeiten integriert sind, um Patientinnen und Patienten aktiv einzubinden und Fortschritte zu verfolgen.
- Gemeinschaftliche Aktivität fördern: Gruppenspaziergänge oder Bewegungsangebote bieten die Möglichkeit für soziale Interaktion und steigern die Motivation zur Bewegung.
Literatur und andere Quellen
für Europa, W. R. (1986). Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, 1986 (No. WHO/EURO: 1986-4044-43803-61669). Weltgesundheitsorganisation. Regionalbüro für Europa.
Kuipers, S.J., Cramm, J.M. & Nieboer, A.P. The importance of patient-centered care and co-creation of care for satisfaction with care and physical and social well-being of patients with multi-morbidity in the primary care setting. BMC Health Serv Res 19, 13 (2019). doi.org/10.1186/s12913-018-3818-y Prahalad, C.K. et al. (2004). Journal of Interactive Marketing 18(3): 5–14. DOI: doi.org/10.1002/dir.20015
Löllgen, H., Bachl, N., Pitsiladis, Y., Pigozzi, F., & Casasco, M. (2024). Die magische Kraft der körperlichen Aktivität: das Zehn-Säulen-Modell. Die Kardiologie, 18(1), 74-84.
Schneider, I. T. (2019). Körperliche Bewegung älterer Menschen im Krankenhaus: eine phänomenologisch-hermeneutische Studie (Doctoral dissertation, Dissertation, Halle (Saale), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2019).
Spencer, M. et al. (2013). Co-producing services — Co-creating health. Verfügbar unter: www.1000livesplus.wales.nhs.uk/sitesplus/documents/1011/T4I%20(8)%20Co-production.pdf [18.01.2021}
Weidinger, L., Löffler, K., & Goldgruber, J. (2021). Co-Creation: Gesundheit gemeinsam gestalten: Patienten und Nutzer werden aktiv an der Entwicklung beteiligt. ProCare, 26, 46-49.
Park, L.G., Elnaggar, A., Lee, S.J., Merek, S., Hoffmann, T.J., Von Oppenfeld, J., Ignacio, N., Whooley, M.A. (2021). Mobile Health Intervention Promoting Physical Activity in Adults Post Cardiac Rehabilitation: Pilot Randomized Controlled Trial, 16;5(4):e20468. doi: 10.2196/20468. PMID: 3
Silva, A.G.; Simões, P.; Queirós, A.; P Rocha, N.; Rodrigues, M. Effectiveness of Mobile Applications Running on Smartphones to Promote Physical Activity: A Systematic Review with Meta-Analysis. Int. J. Environ. Res. Public Health 2020, 17, 2251. https://doi.org/10.3390/ijerph17072251
van Grootel J, Bor P, Netjes JA, Veenhof C, Valkenet K. Improving physical activity in hospitalized patients: The preliminary effectiveness of a goal-directed movement intervention. Clin Rehabil. 2023 Nov;37(11):1501-1509. doi: 10.1177/02692155231189607
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Zitierung des Beitrags
Wie mache ich meine Patient*innen zum Teil der Lösung (Co-Creation)?